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Der FCC in der DDR-Oberliga
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Fürs Fanzine "Nordostfußball" Nr. 7 geschrieben:

Der FCC in der DDR-Oberliga

I. Kindheit

Als ich mich Ende der 60er Jahre im zarten Vorschulalter zum Dauergucker des sonnabendlichen „Sport aktuell“ entwickelte, hatte ich vielleicht das Beste in der DDR-Oberliga schon verpaßt. Nach dem Aufstieg des FC CARL ZEISS JENA in die DDR-Oberliga 1957 – jenes 1952/53 drücke ich mal in den Skat – übernahm Georg Buschner 1958 das Traineramt in Jena und führte völlig neue Trainingsmethoden ein, die bald Erfolge brachten. Nach dem Pokalsieg 1960 gab es in meinem Geburtsjahr 1963 den ersten Meistertitel, dem zwei weitere 1968 und 1970 folgten. Zwischenzeitlich leistete man sich den Luxus, die FDGB-Pokal-Endspiele 1965 und 1968 gegen die Außenseiter Magdeburg und Union Berlin zu verlieren.

Meine Sympathien vorm Fernsehgerät vergab ich anfangs erst beim Spielbericht selbst. Die Trikots oder etwa der Name eines Spielers waren dafür ausschlaggebend. Dann aber gab es im Herbst 1970 ein Spiel, das in den Zeitungen auf Grund des berühmten Gegners viel Aufmerksamkeit erregte: Jena spielte im EC I gegen Sporting Lissabon. Und Jena gewann beide Spiele jeweils mit 2:1. Da war für den sechsjährigen Uwe klar: Wer es schafft, das berühmte Sporting Lissabon zu schlagen, ist etwas Besonderes und fortan war ich für alle anderen Vereine verloren – ich war Jena-Fan. Eine unheilbare „Krankheit“ übrigens, deren Symptome sich bis heute nicht abgeschwächt haben, im Gegenteil…

Die 70er Jahre spielte der FCC in der Oberliga fast immer vorn mit, ich mußte aber mit ansehen, wie sich Dynamo Dresden und der 1. FCM die Meistertitel bis 1978 teilten. Besonders die drei Vizemeistertitel in Folge ab 1972 waren schmerzhaft, da jedesmal 3 Punkte auf den Platz 1 fehlten. 1974 endete eine Serie von 75 Heimspielen ohne Niederlage in Folge: Mit einem 2:1 stürzte der FCM den Spitzenreiter Jena und hievte sich selbst am vorletzten Spieltag auf den Thron des DDR-Meisters. Fußball kann so grausam sein! Tiefe Genugtuung bereiteten mir aber die beiden Pokalsiege 1972 und 1974: Die in der Meisterschaft schier übermächtigen schwarz-gelben Dynamos wurden beide Male in die Knie gezwungen und die Jenaer Spieler der beiden Leipziger Finals waren für mich Helden!

Am 14. Mai 1977 sah ich zum ersten Mal meinen geliebten FCC live, als es am vorletzten Spieltag im benachbarten Karl-Marx-Stadt (ich wohnte nur 10 km entfernt) gegen den FCK ging. Die historische Bedeutung des Spieles wurde mir eigentlich erst Jahre später bewußt. Nein, es war nicht deshalb für den FCC geschichtsträchtig, weil ich erstmalig anwesend war, sondern weil  DER Fußballer meiner Träume – und eine Symbolfigur des DDR-Fußballs überhaupt – das letzte Punktspiel seiner Karriere absolvierte: Peter Ducke. In der zweiten Halbzeit eingewechselt, erzielte er ganz schnell den zwischenzeitlichen Ausgleich zum 2:2 und holte sich genauso schnell eine Gelbe Karte wegen Meckern ab – das war Ducke in komprimierter Form. Und ich durfte das ganze aus wenigen Metern Entfernung miterleben… Unvergessen!!! Von da an nutzte ich jede Gelegenheit, zu Punktspielen des FCC zu fahren. Da ich mit der Deutsche Reichsbahn für 120 km bis Jena 4 Stunden (für eine Strecke!) benötigte, kamen da außerhalb der Schulferien zunächst nur Dresden, Aue und „Karl-Chemnitz“ in Frage, aber ich begann, meine Planungen nach den Oberligaansetzungen auszurichten und fuhr notfalls auch mit paar Kumpels zu Heimspielen des ungeliebten FCK, der in unserer Region neben Dynamo die meisten Anhänger hatte. Die Meisterschaften endeten ab 1978/79 lange Jahre recht eintönig, da der BFC Dynamo zehnmal hintereinander Erster wurde, teils dank sportlicher Klasse, teils dank politischen Protektion.

II. Jugend

17. Mai 1980, Pokalfinale in Berlin: Jena gegen Erfurt! Es war nicht ein Finale schlechthin, sondern gleichzeitig eines der intensivsten Haßderbys der DDR-Oberliga auf höchster Ebene. Damals blieb ich noch zu Hause vorm Fernseher (heute undenkbar), die Emotionen waren deshalb nicht weniger stark, als Raab nach unendlich erscheinender Dauer neun Minuten vorm Abpfiff endlich den ersehnten Ausgleich erzielte und Kurbjuweit und Sengewald das Werk in der Verlängerung vollendeten. Ich lag jubelnd vorm TV-Gerät und wäre damals so gern ein Teil der jubelnden blau-gelb-weißen Masse in Berlin gewesen. Es folgte in goldener Herbst für den FCC: In der Meisterschaft gelang ein Traumstart mit 6 Siegen in den ersten 6 Spielen, aber das Thema Europacup schien nach dem 0:3 beim AS Rom wieder einmal schnell zu Ende zu sein. Doch der 1. Oktober 1980, der Tag des Rückspiels, erhob sich zu einem Datum, das ebenbürtig mit allen Meistertiteln war: Der FCC schoß die Römer in ausverkauften Hexenkessel Ernst-Abbe-Sportfeld mit 4:0 ab und schaffte als erste Mannschaft Europas das Kunststück, ein Hinspiel-0:3 noch umzubiegen. Es war schon vor dem Spiel eine verrückte Stimmung: „Wir schaffen das noch“, war der Grundtenor und als der eingewechselte Andreas Bielau dann mit seiner ersten Ballberührung das 3:0 und gar kurz vor Schluß sogar das 4:0 machte, trug das Jenaer Saaletal rund ums Stadion seinen Namen auch in fußballerischer Hinsicht zu Recht: Jena lag im Paradies! Valencia, Newport und Benfica waren die nächsten Stationen auf dem Weg zum EC-Finale gegen Tbilissi. Eigentlich ist ein EC-Finale ein Traum für jeden Fan, aber dieses Finale hatte einen Makel: Es fand in Düsseldorf statt und war somit für die meisten Jena-Fans unerreichbarer als die Mondrückseite. Die UEFA besaß auch nicht jenes Fingerspitzengefühl, um dieses Finale zweier Ostteams etwa nach Warschau oder Prag oder Budapest zu verlegen, Zehntausende wären ihrem FCC gefolgt! So aber verloren sich im Rheinstadion lediglich 9000 Zuschauer, die das Spiel zweier Topteams (und das waren damals beide, Jena und Tbilissi) sehen live wollten. Hoppe sorgte mit seinem Führungstreffer für Extase, aber der FCC verlor noch 1:2  gegen die Mannschaft aus dem Land des „großen Bruders“. In dieser Saison war der FCC auch so dicht dran am Meistertitel wie seit Jahren nicht. Am letzten Spieltag reiste man mit einem Punkt Rückstand zum Spitzenreiter BFC, das DDR-Fernsehen übertrug dieses entscheidende Spiel sogar live – ein Novum für Punktspiele! Aber auch dieses „Finale“ ging 1:2 verloren und so war ich trotz einer Riesensaison todtraurig.

In den Folgejahren lief beim FCC nicht mehr viel zusammen. Zum 75. EC-Spiel war – dem Anlaß angemessen – Real Madrid der Gegner, aber die Königlichen mauerten sich mit einem 0:0 in die nächste Runde. In der Oberliga wurde man zunächst Fünfter, dann Dritter und dann folgte im Herbst 1983 der erste Trainerentlassung beim FCC seit über 25 Jahren: Damals schon Legende, mußte Hans Meyer seine Platz räumen – der FCC stand auf einem Abstiegsplatz. Letztendlich wurde es noch ein 10. Platz, für Jenaer Verhältnisse trotzdem eine Katastrophe!

III. Studium

Nach meinem Grundwehrdienst begann ich 1984 mit dem Studium: Einerseits hatte ich wieder mehr Zeit für Fußball und der Studienort, die Chemie-Metropole Halle, war zugtechnisch ein idealer Ausgangspunkt für die Fahrten durch die Republik. Gleich am ersten Studienwochenende tauschte ich die sonnabendlichen Lehrveranstaltungen gegen eine Auswärtsfahrt an die Küste zu Hansa. Insgesamt waren die achtziger Jahre in der DDR-Oberliga fantechnisch hoch interessant und brisant, die Geschehnisse an einem durchschnittlichen Spieltag würden heute Yellow press und Unterschichten-TV wochenlang Stoff für Reportagen liefern und dem DFB die 2006er WM dreimal verderben. Aber ein Besuch im Ostseestadion hatte immer einen besonderen Stellenwert: zum einen durch die lange Zugfahrt, zum anderen hatte man es mit „Südstaaten-Dialekt“ in Rostock mit der Tarnung außerhalb des Stadions schwer. Und so waren die Fahrten 1982 und 1984 regelrechte Survivaltouren, bei denen ein zum Abtransport der FCC-Fans eingesetzter „Ikarus“ schon mal brüchige Scheiben bekam. Am Saisonende „verhungerte“ der FCC wiederum außerhalb der EC-Ränge auf Platz 7. Besonders in Erinnerung blieb mir die Saison 1985/86: Nicht nur, daß Jena Dritter wurde – 3 Punkte hinter dem BFC bei 13 Unentschieden in 26 Spielen (!) –, wir blieben auch gegen den weinroten Serienmeister ungeschlagen 1:1 auswärts und im heimischen Abbe-Sportfeld wurde der BFC mit 3:1 abgefertigt – für damalige Verhältnisse war dies wie eine kleine Meisterschaft. Bis 1990 allerdings war es das mit den Feierlichkeiten in Jena: 6 – 6 – 8 – 5, so lauteten die jeweiligen Endplazierungen, zu wenig für die einst so erfolgsverwöhnten Fans aus dem Paradies. Lediglich 1988 blinzelte die Sonne des Erfolgs nochmals über Jena: Im FDGB-Pokal schoß man im Viertelfinale Dresden so überzeugend mit 4:0 ab, daß die Dynamo-Fans nach dem 3:0 ihre Fahnen einpackten und das Stadion verließen, und nach einem nervenzerfetzenden Halbfinalsieg im Elfmeterschießen gegen Lok standen wir im Pokalfinale gegen den BFC. Bis weit in die Verlängerung lebte die Hoffnung, den zum neunten Mal in Folge als DDR-Meister feststehenden Berlinern das Double verderben zu können, zwei Treffer in der 112. und 116. Minute ließen jedoch die Hoffnungen aufs erneute Glück im Strafstoßschießen platzen.

Neben den Punktspielen erlebte ich etliche sportlich wenigerwertvolle Auswärtsspiele im Pokal bei unterklassigen Teams, die aber Kultcharakter hatten: Nach Prenzlau oder Thale kam man nur einmal im Fanleben! Im August 1984 beispielsweise kamen wir nachts halb vier in dem verträumten brandenburgischen Kaff der „Perle der Uckermark“ Prenzlau an, trafen andere Fans, die in einer Parkanlage übernachtet hatten und nutzten den Uckersee zum Baden, Zähneputzen und Tretbootfahren. Das gequälte 3:1 n. V. bei der BSG Lok/Armaturen (ein Name wie ein Poem) war fast Nebensache, aber der Rummelplatzbesuch vor der teilweise fahrtkartenfreien Rückfahrt ein Genuß.

Freundin und Kind ließen zwar in diesen Jahren bei mir vorrübergehend die Zahl der Fußballfahrten sinken, aber die Weissagungen meines Vaters traten nicht ein: „Wenn du verheiratet bist und Kinder hast, hast du keine Zeit mehr für Fußball.“, lautete seine Prophezeiung. Aber meine privaten Planungen orientierten sich immer noch am Fußball. Als wir für den Sommer 1989 unsere Hochzeit planten, bugsierte ich mit etwas Geschick den Termin auf das zweite Augustwochenende – weil (wie ich meiner Frau Jahre später gestand) die Saison am dritten Wochenende dieses Monats startete… Übrigens bin ich noch immer mit der gleichen Frau verheiratet und wir fahren zusammen zum FCC.

IV. (W)Ende

1990/91 gab es auf Grund der gesellschaftlichen Umwälzungen definitiv die letzte Ausgabe der DDR-, ach nein, jetzt hieß sie ja NOFV-Oberliga. Nicht nur in der Politik galt das Recht des Siegers, auch im Fußball: Gerade einmal zwei der 14 Oberligateams durften sich für die 1. Bundesliga qualifizieren. Und ausgerechnet eine der permanent zwischen Oberliga und Liga pendelnden Fahrstuhlmannschaften der letzten 20 Jahre, Hansa Rostock, die 1968 ihre bis dahin letzte Meisterschaftsmedaille holten, spielte die Saison ihres Lebens und wurde Meister. Dynamo Dresden wurde Zweiter und der Rest kämpfte verzweifelt um die Plätze 3 bis 6, die die direkte Qualifikation für die 2. Bundesliga bedeuteten. Erzrivale Erfurt sicherte sich mit einem 0:0 am vorletzten Spieltag ausgerechnet in Jena die 2. Bundesliga. Doch als Krönung der langen Oberliga-Jahre hatte das Glück, einer doppelt historischen Stunde des DDR-Fußballs beizuwohnen: Am letzten Spieltag (Historie Nr. 1) überhaupt trat der FCC bei Energie Cottbus an. Wir waren punktgleich mit Lok und nur wegen der um 2 Treffer besseren Tordifferenz auf Platz 6, einer von beiden mußte in die Qualifikationsrunde. Als Zuspitzung der dramatischen Inszenierung war drei Tage vorm „Final Countdown“ Bernd Stange als Jenaer Trainer entlassen worden, weil er ohne Wissen des FCC einen Vertrag bei Hertha unterschrieben hatte. Die Hoffnungen auf eine Lok-Niederlage in Rostock hatten sich bereits zur Halbzeit erledigt, in Cottbus stand es noch 0:0, die Verzweiflung im Gästeblock wurde mit den Händen greifbar. In der 83. Minute erbebte das „Stadion der Freundschaft“ durch den Aufschrei der Zeiss-Fans, als Peschke das 1:0 erzielte. Aber Lok führte in Rostock 4:1, das hieß Punkt- und Tordifferenzgleichheit – was nun? Aber der historische Moment Nr. 2 beendete alle Grübeleien und brachte den Gästeblock zur Explosion: Heiko Weber schoß 120 Sekunden vorm allerletzten Abpfiff das 2:0 für Jena, das allerletzte Tor in der DDR-Oberliga-Geschichte überhaupt und alle Blau-Gelb-Weißen in den siebten Fußballhimmel. Jubeln, Brüllen, Heulen, Küssen, man sah die ganze emotionale Palette im Jena-Block, wenn man vor Freudentränen überhaupt etwas sah. Ich habe bis heute keinen getroffen, der sich an irgend etwas zwischen Webers Tor und Abpfiff erinnern kann. Und so war, quasi als versöhnlicher Abschluß, der FCC – ganz „nebenbei“ als Erster der ewigen DDR-Oberliga-Tabelle – im bundesdeutschen Fußball angekommen.

Inzwischen waren wir zwar wieder vier lange Jahre in einer Spielklasse namens „Oberliga“, die war aber jetzt die vierte, nicht mehr die erste Spielklasse. Und eben jener Heiko Weber, der letzte DDR-Oberligatorschütze führte den FCC als Trainer aus dem tiefen Tal der Tränen in die Regionalliga und gab den Träumen vieler alter Zeiss-Fans, die sich nichts sehnlicher wünschen, als ihren FC CARL ZEISS JENA wieder in einer 1. Liga zu sehen, ein bißchen neue Nahrung. Und manchmal huscht heute noch der Stolz auf die erfolgreiche Vergangenheit durch den FCC-Fanblock, wenn der Gegner mit „In Europa kennt euch keine Sau…“ geschmäht wird.

 Text: Uwe Kaiser (C) 2005
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