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17.10.2007,
Moskau, Luzhniki-Stadion:
Back in the
CCCP!
Russland - England
2:1 (0:1)
(Teil I)
1981 war ich schon einmal in Moskau: 3 Wochen Schüleraustausch mit der
Partnerschule unserer EOS inkl. zweieinhalbtägiger Zuganreise. Damit war der Reisezenit für einen gelernten
DDR-Bürger eigentlich schon erreicht, das konnte man ja maximal mit einem
Kubaurlaub noch übertreffen.
Ein paar Dias von 1981: |
Spasski-Turm
Lenin-Stadion
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Auf dem Roten Platz |
Lomonossow-Universität |
Diesmal galt Moskau als oberexotisch, Honululu als
Reiseziel hätte nicht so viel Erstaunen hervorgerufen. "Na du traust dir was…",
war noch eine der harmlosen Aussagen, gilt Russland im "zivilen" Mittel- und
Westeuropa doch als Inbegriff des Reichs des Bösen und Mafiasumpf, wie auch
unlängst in der Investorendebatte beim FCC in Medien und Fankreisen
festzustellen war.
Ich war jedenfalls überglücklich, dass es sogar mit 2 Karten für dieses Spiel
geklappt hatte. Die Entscheidung, ob Marc oder Liane als Mitfahrer, war relativ
einfach, da Marc verzichtete, weil er im Juni bereits mit mir in New Wembley
war. Auflage: "Papa, mich nimmst du dann aber das nächste Mal mit!" |
Die Russische Förderation
gehört ja nicht zur EU und so gab es einige für EU-verwöhnte Reisende vollkommen
ungewohnte
Reisevorbereitungen zu treffen: Wir benötigten Pässe und Visa. Die Reisepässe
hatten wir uns zum Glück schon vor einiger Zeit ohne konkreten Anlass zugelegt,
einfach nach dem Motto "Wer weiß, wann man die mal braucht", und die Visa gab es
in Leipzig beim russischen Konsulat. Hier sollte man 4 Wochen Bearbeitungszeit
einplanen. Flug und Hotel waren dank WWW kein Problem, Aeroflot verlangte 275 €
pro fürs Flugticket und das Doppelzimmer im Hotel "Vostok" bekam ich für
sensationelle 87 €, was angesichts der normalen Moskauer Hotelpreise ein echtes
Schnäppchen darstellt. |
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Am Dienstag, dem Tag vorm Spiel, fuhren wir abends
nach Berlin-Schönefeld, um mit der Nachtmaschine der Aeroflot (Start 1 Uhr) früh
halb sechs in Sheremetyevo II zu landen. Hier platzten die ersten Informationen
aus dem Internet von "stundenlangen Kontrollen", "kaltem, unansehnlichem
Airport" usw. wie Seifenblasen. Sheremetyevo ist ein ganz normaler Flughafen wie alle anderen, die
wir bisher erlebten, und am frühen Morgen ist vermutlich kein Flughafen dieser
Welt besonders wohnlich. Die Kontrollen waren zügig und unsere Tasche erwartete
uns bereits auf dem Laufband – so schnell hatten wir das noch nie erlebt!
Passend dagegen die Aussagen zu den nervigen Taxifahrern, die den Reisenden
permanent ihre Dienste aufdrängen wollen. Wir verzichteten dankend, zogen aus
dem Geldautomaten paar (viele) Rubelchen und gingen zum Ausgang, vor dem die
Marschrutkas (Sammeltaxis), die uns für 40 Rubel pro Person zur Metro-Endstation
"Retschnoi Woksal" brachten (Marschrutka Nr. 48). Dort kauften wir zwei
Zehnertickets für die Metro (ausreichend für zwei Tage) und benötigten mit
einmal Umsteigen eine dreiviertel Stunde bis "Vladykino". Dank "Google Earth"
kannte ich mich in dieser Gegend bestens aus und wir marschierten quer durch ein
typisches Moskauer Wohngebiet mit seinen im Karree stehenden Häuserblöcken
geradewegs zum Hotel "Vostok". Das Wunder geschah: Wir durften bereits früh um 8
einchecken und holten bis Mittag einige Stunden fehlenden Schlaf nach. |
Hotel "Vostok" |
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Designer-Kronleuchter |
Beim Aufwachen hatten sich die Wolken
verzogen und die Sonne sorgte für angenehme zweistellige Temperaturen.
Ziel war nun die britische Botschaft, in der wir wie alle Englandfans
unsere Tickets in Empfang nehmen sollten. Bereits beim Näherkommen sahen
wir eine lange Menschenschlange, die sich über mehrere hundert Meter weit
in die benachbarte Straße erstreckte. Die werden doch nicht etwa… Doch!
Die standen alle nach den Tickets an und da beim Betreten der Botschaft
der angekündigte Pass- und Sicherheitscheck stattfand, ging es nur im
Schneckentempo voran. Da aber bis 16.30 Uhr alles erledigt sein sollte,
verzichtete man gegen dreiviertel vier auf den Check und die Abfertigung
beschleunigte sich, so dass wir "schon" nach anderthalb Stunden Warterei
die begehrten Eintrittskarten in der Hand hielten.
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Anderthalb Stunden Anstehen an der britischen
Botschaft nach Tickets...
...unter den wachsamen Augen der Miliz
Britische Botschaft |
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Wir drehten noch eine Runde über den
nahegelegenen Arbat (Fußgängerzone im alten Stil) und sahen dabei eine
Rennerei zwischen "Omon"-Leuten (Omon = Spezialeinheit der Miliz) und
einheimischen Jugendlichen, die sich gegen ein paar Engländer als Hools
versucht hatten. Einer stürzte und wurde ordentlich zusammengefaltet.
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Am Stadion (Metrostation "Sportivnaya")
ging trotz unübersehbarer Menschenmassen alles seinen geregelten
sozialistischen Gang ohne größere Drängeleien und Chaos, auch dank der
allseits postierten und die Massen steuernden Milizionären und Soldaten, die
Ordneraufgaben erfüllten. Auffällig war, dass de facto keine Gästefans
sichtbar waren. Die Engländer waren sehr zivil unterwegs, um Knatsch mit
"interessierten russischen Kreisen" zu vermeiden, und so in der Menge schwer
auszumachen. Bis zum Block mussten wir zwar vier Kontrollketten passieren,
aber die Miliz war nett und die Kontrollen eher pro forma – einmal auf die
Jacke geklopft, ein Blick in die Gürteltasche, dann hieß es "Da!" (auf dt.
"Ja!") und man durfte durch. |
Metrostation
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"Sportivnaya" |
Weg zum Stadion
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Gepäckaufbewahrung |
Eine der vier Kontrollen auf dem Weg in den Block,
die aber alle locker und harmlos waren
Das ist nicht das Denkmal eines Fußballers oder
Trainers
vorm ehemaligen Lenin-Stadion
Das ehemalige Lenin-Stadion, heute Luzhniki-Stadion, entpuppte sich als
klassische alte 100.000-Mann-Schüssel ohne Rangunterteilung, der man ein
Dach (sehr interessante Dachkonstruktion) und Sitzplätze (Fassungsvermögen:
84.000) verpasst hatte. Im Mai 08 findet dort das Finale der Champions
League statt. Während der Eröffnungszeremonie wurde auf der Gegengeraden
eine gigantische 120 x 80 Meter große russische Flagge entrollt und beim
Singen der Hymne machte die Russen den Engländern hinsichtlich Lautstärke
und Inbrunst beim Singen ernsthafte Konkurrenz. Da gab es Gänsehaut gratis
und im Gästeblock war anerkennendes Staunen zu registrieren. |
Eine 120 x 80 m große Blockfahne!
Das Spiel lief in den ersten 65 Minuten voll nach englischem Plan. Die
Gastgeber waren zwar sehr bemüht, aber am Strafraum war immer Feierabend.
Die einzige Torchance der ersten Hälfte überhaupt hämmerte Rooney aus 15 m
unter die Torlatte. Unmittelbar nach der Pause steigerte sich das
Heimpublikum, das nach dem 0:1 etwas ruhiger geworden war, zu phantastischer
Lautstärke und trieb sein Team u.a. mit einem orkanartigen Wechselgesang
zwischen beiden Kurven nach vorn. Nach einer Stunde Spielzeit ließ die
Konzentration der englischen Abwehr nach, es schlichen sich Fehler ein und
nach vorn ging gar nichts mehr. Aber vermutlich wäre es ohne russischen
Torerfolg abgegangen, wenn nicht der spanische Referee in einem Anfall von
Umnachtung ein Sprintduell zwischen Rooney und einem russischen Angreifer
erstens als Foul gewertet und zweitens den Tatort um zwei Meter vor in den
Strafraum verlegt hätte. Entsetzen bei allen Engländern und Erstaunen bei
allen Russen auf Rasen und Rängen, als der Schiedsrichter auf den
Elfmeterpunkt zeigte. Nach dem Ausgleich glich die weiße Abwehr dem
vielzitierten Hühnerhaufen, in den die roten Füchse immer wieder für Hektik
sorgten. Und als Paul Robinson – auf Englands Torhüter kann man sich
diesbezüglich immer verlassen – seinen "Bock des Abends" schoss und einen
Ball nach vorn abklatschte, war der Abend gelaufen. In den weiteren Minuten
konnte man froh sein, nicht noch einen Gegentreffer zu bekommen. Die Russen
liefen, angefeuert von einem fanatischen Publikum, wie aufgedreht den Rasen
hoch und runter und verdienten sich in dieser Phase den Sieg endgültig.
Lediglich in den letzten fünf Minuten ging ein Ruck durchs englische Team
und man versuchte es noch mal mit der Brechstange – vergeblich. |
Rasen- und Auswechselspielerwässern in der
Pause
Der Abmarsch erfolgte
wieder strikt nach Plan, denn die Zuschauer wurden blockweise aus dem
Stadion gelassen.
Was bei uns ein mittleres Chaos verursacht hätte,
war dort offensichtlich Gewohnheit. Für die Wartenden gab es auf den
beiden Anzeigetafeln russische Zeichentrickfilme zur Unterhaltung (leider
nicht "Hase und Wolf") als Untermalung zur lautstarken Nachfeier. Den Frust
des Abends spülte ich mit einigen Bierchen "Nevskoje" zu halbwegs zivilen
Preisen im hoteleigenen Restaurant runter.
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Zum Teil II
Alle Fotos: Uwe Kaiser (C)
2007
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