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12.10.2002, Bratislava:
Slowakei-England 1:2
Zum Frieren in
den Süden
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Fast zeitgleich mit dem letzten
Stundenklingeln am Freitag 13.05 Uhr wurde der bereits mit Frau und Sohn und
Gepäck beladene V 70 gestartet und ab ging es Richtung Bratislava.
Sportliches Ziel war das Länderspiel Slowakei gegen England, geographisch
wollten wir gegen 19 Uhr in Hainburg (Österreich) sein, das 15 km von der
slowakischen Hauptstadt entfernt liegt. Die Grenzpassage in Reitzenhain war
kein Problem, null Stau, null Kontrollen. Die Temperatur lag allerdings nur
noch knapp überm Gefrierpunkt und es schiffte wie Sau. |
Erstaunlich der Abhärtungsgrad der um diese
Tageszeit nur vereinzelt an der E 50 posierenden Damen, deren Bekleidung eher
dem spanischen Mallorca entsprach. Ob sie die Autos zählten, weiß ich nicht
genau, aber irgendwas mit Grenzverkehr hatten sie zu tun.
Erste Auffälligkeit nach vielen Jahren
CZ-Abstinenz: die schlechten Straßen. War es vor 89 immer eine Wohltat für den
Trabi, von DDR-Schlaglochstrecken auf tschechischen Asphalt zu wechseln, so
schienen die Waffenbrüder südlich vom Erzgebirge in den letzten 12 Jahren nichts
mehr an ihren Straßen getan zu haben. Die Warnungen vor Schlaglöchern und
Querrinnen waren bitterer Ernst. Kurz bremste eine Baustellenampel unseren
Vorwärtsdrang, dann ging es auf der Schnellstraße fix Richtung Prag. Auf dem
Autobahnring wurde die Autobahn irgendwann zur vierspurigen Straße mit Ampeln,
und auch tschechische Ampeln machen mit Großstadtverkehr das Gleiche wie alle
Ampeln dieser Welt – Stop & go. Nachdem eine Stunde mehr als geplant verbummelt
wurde, ging es weiter nach Südosten.
"Nur eine Pause, nur ein Pinkelstop, dann sollt’ es weitergeh’n..." (frei nach
DTH) Vergiß es, noch vor Jihlava bremste ein weiterer Stau unsere Fahrt, dessen
Ursache wir nach der Dauer einer Fußballhalbzeit ausmachten: Auch in Tschechien
sind die Autofahrer zu blöde, sich vor einer Baustelle einzufädeln, getreu dem
Motto "Reißverschluß? Auf einer Straße???" Wenigstens konnten wir auf
zeitfressende Pausen verzichten, da wir in weiser Voraussicht Bemmchen
geschmiert und uns mit allen weiteren Leckereien versorgt hatten, die eine
stundenlange Tour erträglich machen. Also weiter aufs Gas unter Einhaltung der
Höchstgeschwindigkeiten, da sind wir im Ausland immer bißchen vorsichtig.
Jihlava, Brno – da kamen paar Erinnerungen an meine Trampertour 1984 bis
Budapest, wie lange wo gestanden, in welchem Waldstück übernachtet, von wem
mitgenommen... *nostalgie off* Endlich die Grenze zur Slowakei und die letzten
60 km bis Bratislava unter die Räder genommen. Dort im Dunkeln und immer noch
bei Dauerregen brav nach Ausschilderung gefahren und prompt den falschen der
beiden Übergänge nach Österreich erwischt. Die Ausschilderung war dort wie zu
Zeiten Franz Josefs – de facto nicht vorhanden. Also erst mal in die falsche
Richtung, gewendet, plötzlich standen wir wieder vor einem Übergang in die Slowakei,
den es auf der Karte gar nicht gab. Also rein in die Dorfkneipe und nach dem Weg
gefragt. Neben der Beschreibung gab es (wegen meinem Trikot) noch fröhliches
Hallo: "Ah, ein Engländer!" Noch nicht mal mein halbwegs astreines Deutsch
konnte die Typen von ihrem Irrtum abbringen. Mit 3 Stunden Verspätung fielen wir
in unserer Pension (empfehlenswert: Pension "Schloßblick", Ü/F 45
€ für 2 Erw. +
1 Kind, schlossblick@netway.at) in
die Betten.
Morgens auf nach Bratislava, wir brauchten
noch Eintrittskarten. Also hin zum Stadion. Die Stadt wirkte in dem
Sch...wetter noch grauer, als sie vielleicht tatsächlich ist, irgendwie eine
Mischung aus italienischem Randviertel und sozialistischer Hauptstadt. Am
Ground wurde mir blitzartig klar, das die Ankündigung im Internet
"all
seater" nicht automatisch "Dach überm Kopf" bedeutet. Das Tehelne Pole
Stadion vom SK Slovan erwies sich als gute alte Betonschüssel mit 2 sehr
knappen Dächern auf beiden Geraden. Und das bei dem Regen! |
Haupttribüne |
Gegengerade bei Dauerregen |
Das Stadion stand weit offen und so enterten
wir die Spielstätte. Wir trafen bereits einige Engländer, die gleichfalls
auf Ticketsuche waren. Eine Nachfrage nach eventuellem Kartenverkauf bei
einem Ordnungshüter endete mit bösem Kopfschütteln: "No tickets"! Puh, hatte
der schlechte Laune. Eine Nachfrage in einer Lotteriebude an der Ecke
brachte ein erstes Angebot: 150€ für 3 Karten. Nee, danke, da warteten wir
doch lieber auf preiswertere Möglichkeiten, uns naßregnen zu lassen. Kurzer
Entschluß: Zurück zur Pension, Mittagsschläfchen und neuer Anlauf am
Nachmittag. |
Um 16 Uhr waren wir wieder am Stadion und
hatten mühelos einen Parkplatz direkt an der Hauptstraße vorm Stadion
gefunden. Nun gab es nur noch 2 Probleme: Der endlose Regen und keine
Karten. Wenigstens konnten wir uns betreffs des ersteren auf unsere
wasserdichten Jacken verlassen, auch wenn wir vielleicht wenigstens für Marc
Handschuhe hätten mitnehmen sollen, da die Temperaturen die gleichen waren
wie auf dem Kamm des Erzgebirges. Also rund ums Stadion gelatscht und nach
Karten geschaut und gefragt. Aber außer kartensuchenden Engländern und einer
Unmenge Polizei im Bürgerkriegsdrill samt gepanzerten Fahrzeugen gab es
nichts. |
Polizeitechnik vorm Stadion |
Den Slowaken selbst merkte man an, daß es für
sie das Spiel des Jahres (oder gar des Jahrzehnts) war und sie -
wenn sie überhaupt halbwegs verkaufswillig waren -
Mondpreise forderten. Irgendwann tauchten dann weitere Vertreter der
FCC-England-Fraktion am Stadion auf, wir hätten glatt einen eigenen Block bilden
können.
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Als wir uns schon innerlich mit dem Gedanken
an die warme Pension mit Fußball im Fernsehen angefreundet hatten, bot ein
Typ 2 Tickets an und wollte 100 € haben. Ich lehnte zunächst dankend ab, das
war mir zu happig. Paar Minuten später quatschte ich ihn (habe auf
Österreicher getippt) nochmals wegen der Karten an. Nanu? Jetzt waren es
noch 50 € für beide Tickets (5
Minuten Wartezeit, die sich gelohnt hatten), also gekauft. Da ich
nicht wußte, wie affig man sich am Einlaß wegen Marc haben würde – hätte ich
die "Gründlichkeit" der Kontrolle geahnt, wären wir glatt zu viert mit den 2
Karten reingekommen –, suchte ich noch eine weitere Karte. |
Nach –zig Fehlschlägen lief ein knapp
Sechzehnjähriger mit 2 Karten wedelnd an mir vorbei. Ihn stoppen und nach dem
Preis fragen, war eins. Erst glaubte ich an einen Hörfehler: "300" pro Karte.
Euro? War der wahnsinnig? Er war es, denn er meinte 300 Kronen (ca. 7€)!!! Da er
unbedingt beide verkaufen wollte, habe ich eben beide Karten
genommen. Die 600 Kronen lagen zusammen
noch immer weit unter meinem selbstgesetzten Limit fürs dritte Ticket. Mit dem
überzähligen Ticket haben wir dann noch einen Engländer beglückt, der uns
zunächst wie Marsmenschen ansah, als ich nur 400 Kronen haben wollte. Erst die
Vermittlung eines weiteren Briten, mit dem wir uns bereits eine Weile
unterhalten hatten, konnte ihn davon überzeugen, daß wir ihn nicht verarschen
wollen. Gesprächsthema übrigens: Warum hält ein Deutscher für die englische
Nationalmannschaft? (Der Engländer verstand das jedenfalls leichter als viele
Deutsche.)
Beim Einlaß wurde es eng |
Eine Stunde vorm Kickoff standen ca. drei- bis
viertausend Leute vorm einzigen Drehkreuz an, das für den Zugang zur Kurve
vorgesehen war. Nach einer Viertelstunde Warten, ohne daß es sichtbar
voranging, versuchten wir unser Glück an einem anderen Eingang ohne
Warteschlange und durften anstandslos und ohne jegliche Taschenkontrollen
passieren.
Daß wir da nicht die einzigsten Unkontrollierten waren, sahen wir in der
Kurve selbst. Wenige Meter von einem Haufen Polizisten entfernt
präsentierten und verkosteten einige Leute lautgrölend ungeniert einige
Flaschen Wodka, ohne daß sich die Ordnungshüter daran störten. Wenigstens
waren die Slowaken insgesamt – abgesehen von den unsäglichen Urwaldlauten –
ein faires Publikum, daß diese laschen Kontrollen nicht zu Bösartigkeiten
ausnutzte. |
Von den beiden Nationalhymnen vor Spielbeginn
bekam im Stadion vermutlich niemand außer der Kapelle selbst etwas mit, da
man anscheinend auf jegliche Mikros für die Musiker verzichtet hatte.
Der Regen hörte knapp eine Viertelstunde nach Anpfiff auf, wahrscheinlich
hatte er genug von dem Gekicke auf dem nassen und zerwühlten Acker. England
spielte unterirdisch schlecht, nach vorn lief gar nichts. Die Slowakei
versuchte sich mit viel Engagement im Angriffsspiel und wurde in der 25. min
auch verdient mit dem 1:0 belohnt, als die englische Innenverteidigung eine
Teepause machte. Der einzige, der wirklich den Ernst der Lage noch vor der
Pause begriff, war Beckham, der unermüdlich an allen Ecken und Ende
rackerte. |
Nationalhymnen, die niemand hörte |
Knüppel frei im Gästeblock |
Interessanter als das Geschehen auf dem Rasen
war vor der Halbzeitpause die Polizeiaktion im Gästeblock: Die Provokationen
der Slowaken an der Blocktrennung und die permanenten rassistischen
Schmährufe gegen Heskey und Cole wurden von einem Engländer mit einem
fliegenden Getränk über den Zaun beantwortet. Für die Polizei war dies der
Startschuß für ihren Knüppeleinsatz, auf den sie offensichtlich die ganze
Zeit gelauert hatten. Die Engländer wichen de facto ohne Gegenwehr vor der
Knüppelgarde zurück, von einer Verhältnismäßigkeit des Einsatzes konnte aus
unserer Sicht keine Rede sein. |
Unbedingt muß ich noch die "Bratwurst"
erwähnen, die es im Stadion gab. Marc bestand während der ersten Halbzeit
unbedingt auf etwas zu essen, also holten wir eine der angebotenen Würste:
"Alte Knacker in noch älterem Getriebeöl gebraten" beschreibt wohl am
treffendsten diesen Imbiß. Bevor man jedoch reinbeißen konnte, mußte man
zunächst eine rote, ölige Flüssigkeit rausdrücken, sonst hätte man diese
Schmiere auf sämtlichen Klamotten gehabt. Die Schale war zäh wie Leder und
ein scharfes Gewürz überdeckte jeglichen eventuell vorhandenen Geschmack.
Ich habe dann lieber meinen Magen knurren lassen... |
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There's only one Michael Owen
(Foto: "Independent
on sunday", 13.10.2002) |
Nach der Pause lief es dann auf dem Rasen bei
Team England besser, ohne daß nun Hundertprozentige im Minutentakt
herausgespielt wurden. Die Slowaken beschränkten sich hauptsächlich auf
Verteidigung und ihre Abwehr stand sicher. Mit einem direkt verwandelten
Freistoß erlöste uns Beckham von unseren Qualen – Ausgleich!!! Owen – der im
Stadion als Torschütze angesagt wurde – soll nicht mehr am Ball gewesen
sein. Wer aber nun auf einen englischen Sturmlauf hoffte, wurde enttäuscht.
Je mehr Zeit verstrich, um so mehr schien sich England mit dem einen Punkt
zufriedengeben zu wollen. Ein Nachsetzen von Scholes am gegnerischen
Strafraum brachte ihn in Ballbesitz und die scharfe, flache Eingabe landete
bei Owen, der sich die Chance nicht entgehen ließ. Plötzlich merkte ich, daß
ich der einzige war, der in der Kurve die Arme hochriß... Aber wie gesagt,
die Slowaken waren ziemlich friedlich. |
Eine Zittereinlage mußten wir in der
Nachspielzeit noch überstehen, aber der Ball senkte sich auf der richtigen
Seite vom Pfosten – daneben! Trotz der Niederlage bleiben nach dem
Schlußpfiff viele Slowaken im Stadion und feierten ihre Mannschaft zu recht,
die für ihre Verhältnisse ein Riesenspiel gemacht hatte.
Negativer Aspekt beim Verlassen des Stadions: An den Blockausgängen waren
von den jeweils vier Gittertoren immer nur ein oder zwei geöffnet, durch die
sich die Massen hindurchdrängen mußten. Eine Panik hätte ich dort nicht
erleben wollen. Überhaupt bekam man den Eindruck, als ob die Organisatoren
mit dieser Zuschauerzahl vor und nach dem Spiel heillos überfordert waren.
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Wir gönnten uns dann noch 2 Tage
Kulturtourismus in
Wien und
schauten, wie die Kaisers in Wien in den letzten Jahrhunderten so gelebt hatten.
Per SMS konnten wir dann auch in der Wiener Hofburg den 1:0-Sieg
des FCC in Plauen
bejubeln.
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Außer der Hofburg spulten wir
das Standardprogramm eines jeden ab, der zum ersten Mal in Wien ist:
Stephansdom, Schloß
Schönbrunn (rechts), |
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Ernst-Happel-Stadion
(Gesamtansicht
hier)
Text und Fotos:
Uwe Kaiser (C) 2002
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