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"Fußball
schlägt das Leben"
Nick Hornby, Schriftsteller und Fußballfan, gab dem "SPIEGEL" ein Interview über die Europameisterschaft, die deutsche Elf und seinen Lieblingsklub Arsenal London, das im Mai 1996,also im Vorfeld der EM, erschien. (Anm. U.K.: Man mag zu dem Magazin stehen wie man will - "Pure Ostgefühle" im SPIEGEL 03/97 -, das Interview ist interessant.) Hornbys Buch "Ballfieber", wurde ja bereits im "Aufsteiger" Nr. 9 (Seite 33) vorgestellt. Leider erstreckt sich das Interview insgesamt über 5 A4-Seiten, so daß an dieser Stelle nur Auszüge (ich hoffe, es sind die interessantesten - U.K.) aufgeführt werden können. ... SPIEGEL: Sie sind ein Liebhaber von Ranglisten. Nennen Sie uns fünf Dinge, an denen man erkennen kann, daß Fußballfans nicht denken. Hornby: Erstens: Sie setzen sich im Trikot ihres Vereins vor den Fernsehapparat, um zu gewinnen ... SPIEGEL: ... haben Sie das schon ausprobiert? Hornby: Ich bin so Meister geworden, 1989 - also wirkt es. Zweitens fahren sie fünf Stunden zu einem Auswärtsspiel in die Provinz, dessen Resultat ohne jede Bedeutung ist. Drittens tragen sie dieselben Sachen wie beim letzten Sieg. Viertens: Leute, deren Team auf Platz 14 steht, sind trotzdem überzeugt, es sei das beste der Liga. Fünftens: daß es Leute gibt, die nach einer 2:6-Niederlage ihres Teams allein dem Schiedsrichter die Schuld geben. SPIEGEL: Ganz England hat angeblich Jürgen Klinsmann geliebt, als er für die Tottenham Hotspurs spielte. Hornby: Ganz England hat ihn gehaßt - bis auf den kleinen Verein, für den er spielte. Es gibt nicht viel zu sehen, wenn Klinsmann spielt. Er nimmt den Ball an, und manchmal trifft er. Bumm. Es gibt nicht viel, was für ihn spricht. Außer, daß man ihn jederzeit lieber im eigenen Team sehen würde als beim Gegner. SPIEGEL: Ein interessanter Typ ist er nicht? Hornby: Klinsmann ist ein Zyniker. SPIEGEL: Wieso das? Hornby: Bevor er nach England kam, galt er als Diver, als einer, der Elfmeter schindet ... SPIEGEL: ... bis er einen Witz machte und nach der nächsten Diving School, einer Tauchschule, fragte. Was ist zynisch daran? Hornby: Er ist ein Diver. ... SPIEGEL: Wenn die Europameisterschaft beginnt, werden Sie sich das englische Team ansehen? Hornby: Auf keinen Fall. Ich mag Wembley nicht, es ist völlig überteuert. Und die Leute, die sich England ansehen, sind die schlimmsten Fans überhaupt - sehr nationalistisch, xenophob (= abweisend gegenüber Fremden - U.K.), rassistisch. Alles andere als eine angenehme Atmosphäre. Wembley hatte bis vor kurzem über 90 000 Plätze. In England gibt es 92 Profiklubs. Ich glaube, die schlimmsten 1000 Fans jedes Vereins sind zu Länderspielen nach Wembley gefahren. ... SPIEGEL: Das Spektakel EM reizt Sie nicht? Hornby: Ich mag auch das englische Team nicht. Ich habe keine Beziehung zu ihm. Früher habe ich von den Italienern gelesen, daß die ihre Jungs mit verfaulten Tomaten am Flughafen begrüßten, wenn sie von Demütigungen in Übersee zurückkehrten. Doch selbst diese Art von Engagement übersteigt meine Vorstellungskraft. Bei uns hieß es früher, was das englische Team anging: "Ich hoffe, sie gehen ein." Für England reicht es allenfalls fürs Halbfinale, mehr ist nicht zu erwarten von einem Team, dessen Manager bereits angekündigt hat, daß er nach der EM aufhört, und das aus ein paar ganz guten Spielern besteht, die nebeneinander herlaufen und keine Ahnung haben, wie sie zusammenspielen sollen. SPIEGEL: Mit diesem Schicksal steht das englische Nationalteam aber nicht allein da - so geht es vielen. Hornby: Je wichtiger das Geld im internationalen Fußball wird, desto mehr fallen die Nationalmannschaften hinter die guten Vereine zurück. Gegen Liverpool oder Manchester United hätte das englische Team keine Chance, weil es ohne Schotten und Waliser auskommen muß. SPIEGEL: Mögen Sie die deutsche Elf? Hornby: Nicht besonders, da sind eben die ganzen bekannten Klischees - Kampf, Kraft, zerstören statt spielen. Aber wenn es mein Heimatverein wäre, wäre ich wahrscheinlich glücklich mit ihnen: Sie kriegen's irgendwie hin, egal, wie schlecht sie spielen: In fast jedem Turnier schaffen sie es bis ins Endspiel. ... SPIEGEL: Wer sind für Sie die fünf besten Spieler aller Zeiten? Hornby: Pelé, ganz klar Nummer eins. Zwei: George Best. Drei: Johan Cruyff. Vier: Maradona. Fünf: Bobby Moore. SPIEGEL: Niemand von Ihrem Verein Arsenal? Hornby: Niemand von Arsenal schafft es in irgendeine Top-five-Liste, es sei denn, Sie bitten mich, eine Liste mit den besten fünf Spielern von Arsenal aufzustellen. ... SPIEGEL: Gibt es eine Beziehung in Ihrem Leben, die so lange gehalten hat wie die zu Ihrem Fußballteam? Hornby: Nein, meine Beziehung zu Arsenal pflege ich seit 28 Jahren - da kann keine Freundschaft mithalten. Ich kenne niemanden mehr aus der Zeit, als ich mit 11 Jahren meine erste Zigarette geraucht habe. Außer Andy, aber Andy ist auch ein Fan. Wir sehen uns nie während der Woche. Wir stehen nur im Stadion immer nebeneinander. ... SPIEGEL: Muß es Fußball sein? Oder gibt es dieses Gemeinschaftsgefühl auch bei Kricket oder Basketball? Hornby: Nein, denn damit das Ganze funktioniert, brauchen Sie ein Stadion und Zehntausende von Zuschauern. Die gibt es beim Kricket nicht. Die Zuschauer sind das Wichtigste beim Fußball: Und nur hier gibt es dieses Bild, wo der Ball ins Netz fliegt und die Zuschauer im Hintergrund vor Jubel förmlich explodieren. SPIEGEL: Manchmal macht Fußball also doch glücklich? Hornby: Ein großartiges Tor ist intensiv, völlig unerwartet und nicht wiederholbar. Das Leben bringt dir diese Intensität nicht. Das Leben schlägt den Fußball natürlich, wenn es um Trauer geht; selbst für uns ist eine Niederlage nicht so schlimm wie ein Todesfall. Aber der Fußball schlägt das Leben, wenn es um Glück geht. SPIEGEL: Das mit den Toren passiert allerdings nicht allzuoft. Hornby: Das ist es ja. Im Basketball werden viel zuviel Körbe erzielt. Der einzelne bedeutet nichts. Man sollte im Basketball nur die letzte Minute spielen lassen. SPIEGEL: Warum haben viele Frauen etwas gegen Männer, die sich Fußball ansehen? Hornby: Weil die ganze Sache natürlich von außen betrachtet absolut schwachsinnig ist. Haben Sie schon einmal einen Mann während eines Spiels vor einem Fernsehapparat gesehen? Er ist unansprechbar. Frauen mögen so was nicht. Noch weniger mögen sie es, wenn der Ehemann am Samstag 400 Kilometer zu einem Auswärtsspiel fährt, das wahrscheinlich auch noch schlecht ist und verloren wird, weswegen der Mann den ganzen Sonntag mit ausgesprochen schlechter Laune herumläuft. Ich meine, man muß jede Frau verstehen, die so etwas nicht exakt für das Wochenende hält, von dem sie jahrelang geträumt hat. SPIEGEL: Sind Fußballfans krank? Hornby: Es wird jedenfalls Rücksicht auf uns genommen. Eine Menge Dinge im Alltag, für die wir sonst eine besonders gute Ausrede bräuchten, sieht man uns nach. An Weihnachten zum Beispiel habe ich an zwei Tagen nie Zeit, weil ich da ein paar Spiele anschauen muß. "Ihr wißt ja", heißt es dann in der Familie, "Nick wird nicht dasein." Oder neulich gab ein Freund von mir ein Abendessen für einen irischen Schriftsteller. Ich sagte: "Entschuldigung, ich kann nicht, wir spielen gegen Tottenham." Das wird akzeptiert, die Leute um mich herum wissen ja, daß ich diese Krankheit habe. SPIEGEL: Sie haben einen Deutschlandbesuch so gelegt, daß Sie kein Spiel verpassen. Hornby: Natürlich, ich habe meine Zusage so lange hinausgezögert, bis feststand, daß Arsenal auf gar keinen Fall am Cup-Finale teilnehmen wird. Zum Glück gibt es die Sommerpause. Sonst würde ich nie in den Urlaub fahren können. Ich hoffe nur, daß ich nicht mitten in der Saison sterben werde. ... aus "SPIEGEL" 20/96, Seite 178-183 abgeschrieben und zusammengestellt von Uwe Kaiser, Fanclub "family" |
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